Die dritten Reden Elifas, Bildads & Zofars

Die dritten Reden Elifas, Bildads & Zofars

Kapitel 22


Die dritte Rede des Elifas - Ijobs angebliche Freveltaten


1 Da antwortete Elifas von Teman und sprach: 2 Kann denn der Mensch Gott nützen? Nein, sich selber nützt der Kluge. 3 Ist es dem Allmächtigen von Wert, dass du gerecht bist, ist es für ihn Gewinn, wenn du unsträfliche Wege gehst? 4 Wegen deiner Gottesfurcht sollte er dich strafen, vor Gericht mit dir gehen? 5 Ist nicht groß deine Bosheit, ohne Ende dein Verschulden? 6 Du pfändest ohne Grund deine Brüder, ziehst Nackten ihre Kleider aus. 7 Den Durstigen tränkst du nicht mit Wasser, dem Hungernden versagst du das Brot. 8 Dem Mann der Faust gehört das Land, der Günstling darf darin wohnen. 9 Witwen hast du weggeschickt mit leeren Händen, der Verwaisten Arme zerschlagen. 10 Deswegen liegen Fallstricke rings um dich her und jäher Schrecken ängstigt dich 11 oder Dunkel, worin du nicht siehst, und Wasserflut, die dich bedeckt.


Der allwissende Gott


12 Ist Gott nicht wie der Himmel hoch? Schau, wie die höchsten Sterne ragen. 13 Und da sagst du: Was weiß denn Gott? Richtet er denn durch das dunkle Gewölk? 14 Wolken umhüllen ihn, sodass er nicht sieht, am Himmelskreis geht er einher. 15 Willst du dem Pfad der Vorzeit folgen, den die Männer des Unheils zogen, 16 die vor der Zeit dahingerafft wurden, über deren Grund sich ein Strom ergoss? 17 Die sagten zu Gott: Weiche von uns!, und: Was tut uns der Allmächtige an? 18 Und doch, er hat ihre Häuser mit Gütern gefüllt und das Planen der Bösen blieb ihm fern. 19 Sehen werden, sich freuen die Gerechten, der Reine wird sie verspotten: 20 Wahrhaftig, vernichtet sind unsere Gegner, ihren Rest hat das Feuer verzehrt.


Die Mahnung zu Umkehr und Demut


21 Werde sein Freund und halte Frieden! Nur dadurch kommt das Gute dir zu. 22 Nimm doch Weisung an aus seinem Mund, leg dir seine Worte ins Herz: 23 Kehrst du zum Allmächtigen um, so wirst du aufgerichtet. Hältst Unrecht deinem Zelt du fern, 24 wirfst in den Staub das Edelgold, zum Flussgestein das Feingold, 25 dann wird der Allmächtige dein Edelgold und erlesenes Silber für dich sein. 26 Dann wirst du am Allmächtigen dich erfreuen und zu Gott dein Angesicht heben. 27 Flehst du ihn an, so hört er dich und du wirst deine Gelübde erfüllen. 28 Beschließt du etwas, dann trifft es ein und Licht überstrahlt deine Wege. 29 Wer hochmütig redet, den duckt er, doch hilft er dem, der die Augen senkt. 30 Er rettet den, der schuldlos ist; durch deiner Hände Reinheit wird er gerettet.


Kapitel 23


Ijobs Gegenrede - Der Ruf nach Gott, dem Richter


1 Da antwortete Ijob und sprach: 2 Auch heute ist meine Klage Widerspruch; schwer lastet seine Hand auf meinem Seufzen. 3 Wüsste ich doch, wie ich ihn finden könnte, gelangen könnte zu seiner Stätte. 4 Ich wollte vor ihm das Recht ausbreiten, meinen Mund mit Beweisen füllen. 5 Wissen möchte ich die Worte, die er mir entgegnet, erfahren, was er zu mir sagt. 6 Würde er in der Fülle der Macht mit mir streiten? Nein, gerade er wird auf mich achten. 7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten und ich käme für immer frei von meinem Richter. 8 Geh ich nach Osten, so ist er nicht da, nach Westen, so merke ich ihn nicht, 9 nach Norden, sein Tun erblicke ich nicht; bieg ich nach Süden, sehe ich ihn nicht. 10 Doch er kennt den Weg, den ich gehe; prüfte er mich, ich ginge wie Gold hervor. 11 Mein Fuß hielt fest an seiner Spur, seinen Weg hielt ich ein und bog nicht ab. 12 Das Gebot seiner Lippen gab ich nicht auf; seines Mundes Worte barg ich im Herzen. 13 Doch er bleibt sich gleich. Wer stimmt ihn um? Wonach ihn gelüstet, das führt er aus. 14 Ja, er vollendet, was er mir bestimmt hat; und Ähnliches hat er noch viel im Sinn. 15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht; denk ich daran, gerate ich in Angst vor ihm. 16 Gott macht mein Herz verzagt, der Allmächtige versetzt mich in Schrecken. 17 Denn bin ich nicht von Finsternis umschlossen, bedeckt nicht Dunkel mein Angesicht?


Kapitel 24


Der Übermut der Sünder


1 Warum hat der Allmächtige keine Fristen bestimmt? Warum schauen, die ihn kennen, seine Gerichtstage nicht? 2 Jene verrücken die Grenzen, rauben Herden und führen sie zur Weide. 3 Den Esel der Waisen treiben sie fort, pfänden das Rind der Witwe. 4 Vom Weg drängen sie die Armen, es verbergen sich alle Gebeugten des Landes. 5 Sieh, wie Wildesel in der Steppe ziehen sie zu ihrer Arbeit aus;die Steppe suchen sie nach Nahrung ab, nach Brot für ihre Kinder. 6 Auf dem Feld schneiden sie des Nachts, halten im Weinberg des Frevlers Nachlese. 7 Nackt verbringen sie die Nacht, ohne Kleider, haben keine Decke in der Kälte. 8 Vom Regen der Berge sind sie durchnässt, klammern sich ohne Schutz an den Fels. 9 Von der Mutterbrust reißen sie die Waisen, den Säugling des Armen nehmen sie zum Pfand. 10 Nackt müssen sie gehen, ohne Kleid, hungernd tragen sie Garben. 11 Zwischen Mauern pressen sie Öl, treten die Kelter und müssen doch dürsten. 12 Aus der Stadt stöhnen Sterbende, der Erschlagenen Leben schreit laut. Doch Gott achtet nicht auf ihr Flehen. 13 Sie sind die Rebellen gegen das Licht; sie nehmen seine Wege nicht wahr, bleiben nicht auf seinen Pfaden. 14 Ist kein Licht, erhebt sich der Mörder, tötet Elende und Arme; in der Nacht gleicht er dem Dieb. 15 Auch des Ehebrechers Auge achtet auf Dämmerung. Kein Auge, sagt er, soll mich erspähen!, eine Hülle legt er aufs Gesicht. 16 Im Finstern bricht er ein in die Häuser; tagsüber verstecken sie sich; sie wollen nichts wissen vom Licht. 17 Denn Finsternis ist für sie der Morgen zugleich, denn mit ihren Schrecken sind sie wohl vertraut.


Das Ende der Frevler


18 Schnell reißt ihn das Wasser fort; verflucht ist ihr Anteil auf Erden; nicht wendet er den Weg den Weinbergen zu. 19 Dürre und Hitze raffen das Schneewasser weg, die Unterwelt den Sünder. 20 Der Mutterschoß vergisst ihn, Gewürm labt sich an ihm; nie mehr wird an ihn gedacht; ja, wie Holz wird Frevel zerschmettert. 21 Er tut Böses der Unfruchtbaren, der Kinderlosen, keiner Witwe erweist er Gutes. 22 Gott reißt die Starken hinweg in seiner Macht; steht er auf, ist niemand seines Lebens sicher. 23 Sicherheit gibt er ihm, er traue darauf; aber seine Augen überwachen ihren Weg. 24 Sie kommen hoch für kurze Zeit, dann ist es aus. Sie werden umgebogen, alle mit der Faust gepackt und wie Ährenspitzen abgeschnitten. 25 Ist es nicht so? Wer straft mich Lügen und bringt meine Rede zum Schweigen?


Kapitel 25


Die dritte Rede Bildads - Die Sündhaftigkeit aller Menschen


1 Da antwortete Bildad von Schuach und sprach: 2 Herrschaft und Schrecken sind bei ihm, der Frieden schafft in seinen Höhen. 3 Kann man seine Scharen zählen und über wem erhebt sich nicht sein Licht? 4 Wie wäre ein Mensch gerecht vor Gott, wie wäre rein der vom Weib Geborene? 5 Siehe, selbst der Mond glänzt nicht hell, die Sterne sind nicht rein in seinen Augen, 6 geschweige denn der Mensch, die Made, der Menschensohn, der Wurm.


Kapitel 26


Ijobs Gegenrede - Leere Worte ohne Wahrheit


1 Da antwortete Ijob und sprach: 2 Wie hilfst du doch dem Schwachen auf, stehst du bei dem kraftlosen Arm! 3 Wie gut rätst du dem, der nicht weise ist, tust ihm Wissen in Fülle kund! 4 Wem trägst du die Reden vor und wessen Atem geht von dir aus?


Die Größe der Allmacht Gottes


5 Die Totengeister zittern drunten, die Wasser mit ihren Bewohnern. 6 Nackt liegt die Unterwelt vor ihm, keine Hülle deckt den Abgrund. 7 Er spannt über dem Leeren den Norden, hängt die Erde auf am Nichts. 8 Er bindet das Wasser in sein Gewölk; doch birst darunter die Wolke nicht. 9 Er verschließt den Anblick seines Throns und breitet darüber sein Gewölk. 10 Eine Grenze zieht er rund um die Wasser bis an den Rand von Licht und Finsternis. 11 Die Säulen des Himmels erzittern, sie erschrecken vor seinem Drohen. 12 Durch seine Kraft stellt still er das Meer, durch seine Klugheit zerschmettert er Rahab. 13 Durch seinen Hauch wird heiter der Himmel, seine Hand durchbohrt die flüchtige Schlange. 14 Siehe, das sind nur die Säume seines Waltens; wie ein Flüstern ist das Wort, das wir von ihm vernehmen. Doch das Donnern seiner Macht, wer kann es begreifen?


Kapitel 27


Die Unschuldsbeteuerung vor den Freunden


1 Dann setzte Ijob seine Rede fort und sprach: 2 So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzog, der Allmächtige, der meine Seele quälte: 3 Solange noch Atem in mir ist und Gottes Hauch in meiner Nase, 4 soll Unrecht nicht von meinen Lippen kommen, noch meine Zunge Falsches reden. 5 Fern sei es mir, euch Recht zu geben, ich gebe, bis ich sterbe, meine Unschuld nicht preis. 6 An meinem Rechtsein halt ich fest und lass es nicht; mein Herz schilt keinen meiner Tage.


Der Untergang der Frevler


7 Mein Feind sei wie ein Frevler, mein Gegner wie ein Bösewicht. 8 Denn was ist des Ruchlosen Hoffen, wenn er dahingeht, wenn Gott das Leben von ihm nimmt? 9 Wird Gott sein Schreien hören, wenn über ihn die Drangsal kommt? 10 Kann er sich des Allmächtigen erfreuen und Gott anrufen zu jeder Zeit? 11 Ich will euch belehren über Gottes Tun, nicht verhehlen, was der Allmächtige plant. 12 Ihr habt es ja alle selbst gesehen. Warum führt ihr nichtige Reden? 13 Das ist des Frevlers Anteil bei Gott, der Gewalttätigen Erbe, das sie vom Allmächtigen empfangen: 14 Werden zahlreich seine Söhne, fürs Schwert sind sie bestimmt; nie werden seine Kinder satt an Brot. 15 Was übrig bleibt, wird durch den Tod begraben und seine Witwen weinen nicht. 16 Häuft er auch Silber auf wie Staub und beschafft er sich Kleider wie Lehm: 17 er schafft sie zwar an; doch anziehen wird sie der Gerechte, das Silber wird der Schuldlose erben. 18 Er baut wie die Spinne sein Haus und wie die Hütte, die der Wächter aufstellt. 19 Reich legt er sich schlafen, nichts ist ihm genommen. Macht er die Augen auf, ist nichts mehr da. 20 Schrecken holt ihn ein wie eine Wasserflut, der Sturmwind trägt ihn fort bei Nacht. 21 Der Ostwind hebt ihn hoch, er muss dahin, er weht ihn weg von seinem Ort. 22 Er stürzt sich auf ihn schonungslos, seiner Gewalt will er entfliehen. 23 Man klatscht über ihn in die Hände und zischt ihn fort von seiner Stätte.


Kapitel 28


Das Lied über die Weisheit - Die Erhabenheit der Weisheit


1 Wohl gibt es einen Fundort für das Silber, eine Stätte für das Gold, wo man es läutert. 2 Eisen holt man aus der Erde, Gestein wird zu Kupfer geschmolzen. 3 Es setzt der Mensch dem Finstern eine Grenze; er forscht hinein bis in das Letzte, ins düstere, dunkle Gestein. 4 Stollen gräbt ein fremdes Volk; vergessen, ohne Halt für den Fuß, hängt es, schwebt es, den Menschen fern. 5 Die Erde, daraus das Brotkorn kommt, wird in den Tiefen wie mit Feuer zerstört. 6 Fundort des Saphirs ist ihr Gestein und Goldstaub findet sich darin. 7 Kein Raubvogel kennt den Weg dahin; kein Falkenauge hat ihn erspäht. 8 Das stolze Wild betritt ihn nicht, kein Löwe schreitet über ihn. 9 An harte Kiesel legt er die Hand, von Grund auf wühlt er Berge um. 10 In Felsen haut er Stollen ein und lauter Kostbarkeiten erblickt sein Auge. 11 Sickerbäche dämmt er ein, Verborgenes bringt er ans Licht. 12 Die Weisheit aber, wo ist sie zu finden und wo ist der Ort der Einsicht? 13 Kein Mensch kennt die Schicht, in der sie liegt; sie findet sich nicht in der Lebenden Land. 14 Die Urflut sagt: Bei mir ist sie nicht. Der Ozean sagt: Bei mir weilt sie nicht. 15 Man kann nicht Feingold für sie geben, nicht Silber als Preis für sie wägen. 16 Nicht wiegt sie Gold aus Ofir auf, kein kostbarer Karneol, kein Saphir. 17 Gold und Glas stehen ihr nicht gleich, kein Tausch für sie ist Goldgerät, 18 nicht zu reden von Korallen und Kristall; weit über Perlen geht der Weisheit Besitz. 19 Der Topas von Kusch kommt ihr nicht gleich und reinstes Gold wiegt sie nicht auf.


Gottes Weg


20 Die Weisheit aber, wo kommt sie her und wo ist der Ort der Einsicht? 21 Verhüllt ist sie vor aller Lebenden Auge, verborgen vor den Vögeln des Himmels. 22 Abgrund und Tod sagen: Unser Ohr vernahm von ihr nur ein Raunen. 23 Gott ist es, der den Weg zu ihr weiß, und nur er kennt ihren Ort. 24 Denn er blickt bis hin zu den Enden der Erde; was unter dem All des Himmels ist, sieht er. 25 Als er dem Wind sein Gewicht schuf und die Wasser nach Maß bestimmte, 26 als er dem Regen das Gesetz schuf und einen Weg dem Donnergewölk, 27 damals hat er sie gesehen und gezählt, sie festgestellt und erforscht. 28 Doch zum Menschen sprach er: Seht, die Furcht vor dem Herrn, das ist Weisheit, das Meiden des Bösen ist Einsicht.


Kapitel 29


Ijobs Schlussrede - Die gesegnete Vergangenheit


1 Dann setzte Ijob seine Rede fort und sprach: 2 Dass ich doch wäre wie in längst vergangenen Monden, wie in den Tagen, da mich Gott beschirmte, 3 als seine Leuchte über meinem Haupt erstrahlte, in seinem Licht ich durch das Dunkel ging. 4 So, wie ich in den Tagen meiner Frühzeit war, als Gottes Freundschaft über meinem Zelte stand, 5 als der Allmächtige noch mit mir war, meine Kinder mich umgaben, 6 als meine Schritte sich in Milch gebadet, Bäche von Öl der Fels mir ergoss. 7 Ging ich durchs Tor zur Stadt hinauf, ließ ich auf dem Platz meinen Sitz aufstellen; 8 sahen mich die Jungen, so traten sie scheu beiseite, die Alten standen auf und blieben stehen. 9 Fürsten hielten mit Reden sich zurück und legten ihre Hand auf ihren Mund. 10 Der Edlen Stimme blieb stumm, am Gaumen klebte ihre Zunge. 11 Hörte mich ein Ohr, pries es mich glücklich, das Auge, das mich sah, stimmte mir zu. 12 Denn ich rettete den Armen, der schrie, die Waise, die ohne Hilfe war. 13 Der Segen des Verlorenen kam über mich und jubeln ließ ich der Witwe Herz. 14 Ich bekleidete mich mit Gerechtigkeit, wie Mantel und Kopfbund umhüllte mich mein Recht. 15 Auge war ich für den Blinden, dem Lahmen wurde ich zum Fuß. 16 Vater war ich für die Armen, des Unbekannten Rechtsstreit prüfte ich. 17 Ich zerschmetterte des Bösen Kiefer, entriss die Beute seinen Zähnen. 18 So dachte ich: Mit meinem Nest werde ich verscheiden und gleich dem Phönix meine Tage mehren. 19 Meine Wurzel reiche bis an das Wasser, auf meinen Zweigen nächtige Tau. 20 Neu bleibe mir meine Ehre, mein Bogen verjünge sich in meiner Hand. 21 Auf mich horchten und warteten sie, lauschten schweigend meinem Rat. 22 Wenn ich sprach, nahm keiner das Wort; es träufelte nieder auf sie meine Rede. 23 Sie harrten auf mich wie auf Regen, sperrten den Mund wie nach Spätregen auf. 24 Lächelte ich denen zu, die ohne Vertrauen, sie wiesen das Leuchten meines Gesichts nicht ab. 25 Ich bestimmte ihr Tun, ich saß als Haupt, thronte wie ein König inmitten der Schar, wie einer, der Trauernde tröstet.


Kapitel 30


Die schreckliche Gegenwart


1 Jetzt aber lachen über mich, die jünger sind als ich an Tagen, deren Väter ich nicht für wert geachtet, sie bei den Hunden meiner Herde anzustellen. 2 Was sollte mir auch ihrer Hände Kraft? Geschwunden war ihre Rüstigkeit 3 durch Mangel und durch harten Hunger; Leute, die das dürre Land abnagen, das Gras der Wüste und der Wüstenei. 4 Sie pflücken Salzmelde im Gesträuch und Ginsterwurzeln sind ihr Brot. 5 Aus der Gemeinschaft wurden sie verjagt; man schreit ihnen nach wie einem Dieb. 6 Am Hang der Täler müssen sie wohnen, in Erdhöhlen und in Felsgeklüft. 7 Zwischen Sträuchern schreien sie kläglich, drängen sich zusammen unter wildem Gestrüpp. 8 Blödes Gesindel, Volk ohne Namen, wurden sie aus dem Land hinausgepeitscht. 9 Jetzt aber bin ich ihr Spottlied, bin zum Klatsch für sie geworden. 10 Sie verabscheuen mich, rücken weit von mir weg, scheuen sich nicht, mir ins Gesicht zu speien. 11 Denn Gott löste mein Seil und beugte mich nieder, sie aber ließen die Zügel vor mir schießen. 12 Zur rechten Seite erhebt sich eine Schar, treibt meine Füße weg, wirft gegen mich ihre Unheilsdämme auf. 13 Meinen Pfad reißen sie auf, helfen zu meinem Verderben und niemand wehrt ihnen. 14 Wie durch eine breite Bresche kommen sie heran, wälzen sich unter Trümmern her. 15 Schrecken stürzen auf mich ein, verjagt wie vom Wind ist mein Adel, wie eine Wolke entschwand mein Heil. 16 Und nun zerfließt die Seele in mir, des Elends Tage packen mich an. 17 Des Nachts durchbohrt es mir die Knochen, mein nagender Schmerz kommt nicht zur Ruh. 18 Mit Allgewalt packt er mich am Kleid, schnürt wie der Gürtel des Rocks mich ein. 19 Er warf mich in den Lehm, sodass ich Staub und Asche gleiche. 20 Ich schreie zu dir und du erwiderst mir nicht; ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich. 21 Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich, mit deiner starken Hand befehdest du mich. 22 Du hebst mich in den Wind, fährst mich dahin, lässt mich zergehen im Sturmgebraus. 23 Ja, ich weiß, du führst mich zum Tod, zur Sammelstätte aller Lebenden. 24 Doch nicht an Trümmer legt er die Hand. Schreit man nicht um Hilfe beim Untergang? 25 Weinte ich nicht um den, der harte Tage hatte, grämte sich nicht meine Seele über den Armen? 26 Ja, ich hoffte auf Gutes, doch Böses kam, ich harrte auf Licht, doch Finsternis kam. 27 Mein Inneres kocht und kommt nicht zur Ruhe, mich haben die Tage des Elends erreicht. 28 Geschwärzt, doch nicht von der Sonne gebrannt, stehe ich auf in der Gemeinde, schreie laut. 29 Den Schakalen wurde ich zum Bruder, den Straußenhennen zum Freund. 30 Die Haut an mir ist schwarz, von Fieberglut brennen meine Knochen. 31 Zur Trauer wurde mein Harfenspiel, mein Flötenspiel zum Klagelied.


Kapitel 31


Erneute Unschuldsbeteuerung vor Gott


1 Einen Bund schloss ich mit meinen Augen, nie eine Jungfrau lüstern anzusehen. 2 Was wäre sonst mein Teil von Gott dort oben, mein Erbe vom Allmächtigen in der Höhe? 3 Ist nicht Verderben dem Frevler bestimmt und Missgeschick den Übeltätern? 4 Sieht er denn meine Wege nicht, zählt er nicht alle meine Schritte? 5 Wenn ich in Falschheit einherging, wenn zum Betrug mein Fuß eilte, 6 dann wäge Gott mich auf gerechter Waage, so wird er meine Unschuld anerkennen. 7 Wenn mein Schritt vom Wege wich, mein Herz meinen Augen folgte, an meinen Händen Makel klebte, 8 dann esse ein anderer, was ich säe, entwurzelt werde, was mir sprosst. 9 Wenn sich mein Herz von einer Frau betören ließ und ich an der Tür meines Nachbarn lauerte, 10 dann mahle meine Frau einem andern und andere sollen sich beugen über sie. 11 Denn das wäre eine Schandtat und ein Verbrechen, von Richtern zu strafen. 12 Denn das wäre Feuer, das zum Abgrund frisst und meine ganze Habe entwurzelt. 13 Wenn ich das Recht meines Knechts missachtet und das meiner Magd im Streit mit mir, 14 was könnt ich tun, wenn Gott sich erhöbe, was ihm entgegnen, wenn er mich prüfte? 15 Hat nicht mein Schöpfer auch ihn im Mutterleib geschaffen, hat nicht der Eine uns im Mutterschoß gebildet? 16 Wenn ich der Armen Wunsch versagte, verschmachten ließ der Witwe Augen, 17 wenn ganz allein ich meinen Bissen aß, das Waisenkind aber nicht davon aß 18 von Jugend an hat wie ein Vater er mich großgezogen, vom Mutterschoß an mich geleitet, 19 wenn ich den Verlorenen sah ohne Kleid und ohne Decke den Verarmten, 20 wenn nicht seine Lenden mir dankten, er nicht von der Schur meiner Lämmer sich wärmte, 21 wenn meine Hand der Waise drohte, weil ich am Tor Helfer für mich sah, 22 dann falle die Schulter mir vom Nacken, breche der Arm mir aus dem Gelenk. 23 Ja, Schrecken träfe mich, Gottes Verderben, vor seiner Hoheit hielte ich nicht stand. 24 Wenn ich auf Gold meine Hoffnung setzte, zum Feingold sprach: Du meine Zuversicht!, 25 wenn ich mich freute, dass groß mein Vermögen, dass viel erreicht hat meine Hand, 26 wenn ich die leuchtende Sonne sah, wie sie strahlte, den Mond, wie er herrlich dahinzog, 27 wenn heimlich sich mein Herz betören ließ und meine Hand dem Mund zum Kuss sich bot, 28 auch das wäre ein Verbrechen, vom Richter zu strafen, denn Gott da droben hätte ich verleugnet. 29 Wenn ich am Unglück meines Feinds mich freute und triumphierte, dass Unheil ihn traf 30 habe ich doch meinem Mund zu sündigen verboten, sein Leben mit Fluch zu verwünschen. 31 Wenn meine Zeltgenossen nicht gestanden: Wer wurde von seinem Fleisch nicht gesättigt? 32 Kein Fremder musste draußen übernachten, dem Wanderer tat meine Tür ich auf. 33 Wenn ich nach Menschenart meine Frevel verhehlte, meine Schuld verbarg in meiner Brust, 34 weil ich die große Menge scheute und die Verachtung der Sippen mich schreckte, so schwiege ich still und ginge nicht zur Tür hinaus.


Ijobs Warten auf Gottes Antwort


35 Gäbe es doch einen, der mich hört. Das ist mein Begehr, dass der Allmächtige mir Antwort gibt: Hier ist das Schriftstück, das mein Gegner geschrieben. 36 Auf meine Schulter wollte ich es heben, als Kranz es um den Kopf mir winden. 37 Ich täte die Zahl meiner Schritte ihm kund, ich nahte mich ihm wie ein Fürst. 38 Wenn über mich mein Acker schrie, seine Furchen miteinander weinten, 39 wenn seinen Ertrag ich verzehrte, ohne zu bezahlen, das Verlangen seines Herrn ich unerfüllt ließ, 40 sollen Dornen wachsen statt Weizen, statt Gerste stinkendes Kraut.Zu Ende sind die Worte Ijobs.